Wohnen mit Ikonen
Auf der Antiquitätenmeile von Kopenhagen habe ich vor einigen Wochen ein Arne Jacobsen Egg entdeckt. Aus cognacfarbenen Leder und dem Zustand nach zu urteilen sicher eines der ersten seiner Art. Preis auf Anfrage: Rund 25.000 Euro sollte der Klassiker kosten. (Euro! Nicht Kronen!)
Und probesitzen? Hmmm…ernsthaft? Also wenn es sich vermeiden ließe…
Staunend stand ich vor der Diva (dem Sessel) und ließ mir erklären, dass der Sessel sich von seinen „gewöhnlichen“ Nachfolgern dadurch unterscheide, dass er kein separates Sitzkissen hätte, sondern dieses im ersten Entwurf von Herrn Jacobsen in die Sitzfläche eingearbeitet worden wäre. Erst spätere Modelle haben die kleine rundliche Sitzfläche separat aufliegen. Selbst im Designmuseum in Kopenhagen (wenige Häuser entfernt in der gleichen Straße) steht also nicht die Diva selbst, sondern ein gewöhnlicher Nachfolger mit separatem Sitzkissen!
Aber als Sessel konzipiert stellt sich vor allem eine Frage: Wie sitzt es sich in so einem Ei? Auch wenn ich in dem Lederegg nicht sitzen durfte, so kenne ich das Ei von meiner Lieblingshotelkette, wo es in jeder Lobby in strahlendem Türkis prangt: Man sitzt sehr tief, sehr aufrecht, sehr hart und seitlich sowie nach hinten sehr eng…die Mickeymouse-Ohren sind witzig und schaffen Intimität…Aber bequem empfinde ich die Diva beim besten Willen nicht.
Ähnlich geht es mir mit dem Paradestück der Eheleute Eames.
Im Ursprung, so wird behauptet, war dies für eine etwas kurz gewachsene ebenfalls Ikone entworfen – und ist damit schlichtweg zu kurz für den Durchschnittsbürger von heute, der in der Regel über 1.60 m hoch zu sein pflegt:
Auch der berühmte Eames Lounge Chair ist damit für viele Zeitgenossen eine Augen- nicht aber eine Sitzweide.
Der Urvater dänischen Designs Kaare Klint lehrte seine Schüler, allesamt Designer der Midcentury Generation, dass die Ergonomie vor der Optik kommt. Und so gab es auch einen Grund, warum Hans J. Wegner Zeit seines Lebens nur diesen EINEN perfekten Stuhl entwerfen wollte (aus dem dann 500 Versuche geworden sind). „Richtig gut sitzen“ war das erklärte erste Ziel.
Die Easy Chairs der Klint Schüler aus den 60ern – gefertigt aus Teak- oder Palisanderrahmen mit losen Polstern und handwerklich charmanten Details in Schliff oder Holzoberfläche – scheinen im Vergleich zum Egg auf den ersten Blick unspektakulär.
Wenn aber ein Wohnzimmer ein Wohnzimmer ist – und keine Galerie – dann macht der von uns so heiß geliebte Easy Chair seinem Namen alle Ehre. Er verleiht jedem Ambiente Individualität. Und ist ansonsten vor allen Dingen: Easy. Unkompliziert, beweglich, flexibel in Standort und dank der losen Polster sogar im Hinblick auf die gesamte Anmutung.
In seinem Buch „Midcentury Design“ trägt Dominic Bradburry allerlei Schönes und Kurioses aus der Entstehungszeit dieser Stücke zusammen – und unterhält mit viel Wissen um die einzelnen Entwürfe und hinreißenden Fotos. Das Egg wird ebenso gewürdigt wie der Lounge Chair – und viele andere bekannte und weniger bekannte Ikonen und Diven aus der Midcentury Ära: Dazu durchwandert der Autor reich bebildert, wissensreich und unterhaltsam die ganze Welt des Designs von Textilkunst über Grafik bis hin zu dem Gebrauchsgegenständen des legendären Dieter Rams.
Lesenswert, sehenswert und voller schöner Ideen. Leseempfehlung.
Elisabeth Lindermuller
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